Frage: "Ich verspüre einen unbändigen Freiheitsdrang und
fühle mich von allem eingeengt: Vom Gesellschaftssystem, den Arbeitsbedingungen,
den Ansprüchen meines Partners usw. Mag sein, daß es die Limitation
der 'Rollenspiele' ist, von denen wir gerade gehört
haben. Aber auch in mir selbst empfinde ich diese Enge: In der Beschränktheit
meines Denkens, in der mangelnden Ausdrucksfähigkeit meines Gefühls,
in der Begrenztheit meiner Körperkräfte, in fast allem. Wie kann
ich diese Enge überwinden? Und wie kann ich die Freiheit erlangen,
nach der ich mich sehne?"
BeiYin: "Seit Jahrhunderten hat die Menschheit in den Begriff 'Freiheit' ihre ganze Sehnsucht gelegt. Das bedarf der Klärung. Das unbestimmte, diffuse Gefühl des Individuums, aus der persönlichen Enge ausbrechen zu wollen, hat sich schon immer nach außen verlagert. Der Kampf um die 'Freiheit' hat sich bereits seit langem auf gesellschafts- politische Bereiche gerichtet. Durch den politischen Kampf sollten die Gemeinschaft und das Individuum größere Freiheit erlangen. Was ist daraus geworden? Es dürfte inzwischen klar geworden sein, daß der politische Kampf für die Freiheit der Gesellschaft eine Illusion ist, solange die Individuen in ihrer persönlichkeitsbezogenen Beschränktheit verharren. Die Skandale über Korruption bei den Politikern gehen in diesen Tagen wieder einmal durch die Presse. Korruption ist eine der Auswirkungen der allgemeinen materialistischen, ichbezogenen Lebenshaltung. Die Menschen sehen zu, daß sie von allem so viel und so schnell wie möglich bekommen. Fast jeder, der die Gelegenheit dazu hat, sich zu bereichern, wird es versuchen. Warum sollten ausgerechnet Politiker der Versuchung nicht erliegen? Wer kann noch Zweifel daran haben, daß die Realisation von 'Freiheit' beim Individuum anfangen muß? Der erste Schritt wäre, sich des einengenden und überholten Zwanges des Materialismus zu entledigen. Jedoch ist die Gewohnheit dieser Lebenseinstellung so eingefahren, daß sie völlig unbewußt geworden ist. Ganz gleich, was jemand unternimmt, selbst wenn derjenige sich nach einem 'spirituellen' Konzept ausrichtet, wird daraus ein 'materielles spirituelles' Konzept. Oder mit anderen Worten: Solange jemand nicht seine eigene althergebrachte Struktur erkannt hat, wird diese ihn immer wieder zum Reagieren in determinierter Richtung veranlassen, das heißt, seine Handlungen und sein Denken werden davon von Grund auf beeinflußt, ob er dies nun will oder nicht. Der Mensch wird so lange beschränkt, ichbezogen, materialistisch, korrupt, unfrei, ignorant und selbstisch handeln und denken, wie er in der engen, verspannten Struktur seiner ichbezogenen Persönlichkeit verharrt. Das ist allgemeine Selbstverständlichkeit und wird nur als störend empfunden, wenn die eigenen Handlungen durch andere Personen oder Umstände eingeschränkt werden. Von 'Freiheit'ist schon lange keine Rede mehr, das betrifft bestenfalls noch unterentwickelte Länder... Aber die Sehnsucht nach 'Freiheit' besteht fort, auch wenn sie sich in den hintersten Winkel des Herzens zurückgezogen hat. Die Resignation ist allgemein. Die meisten Menschen haben sich mit den Zwängen abgefunden: Es ist eben so wie es ist..." Kommentar: "Das stimmt, die Kämpfer werden immer weniger und wirklich idealistische scheinen auszusterben. Die Masse bewegt sich wie eine Hammelherde weiter, selbst dann, wenn sie sich auf dem Weg zur Schlachtbank befindet. Wenn ich mich selbst betrachte: Ich kann nur sagen, daß es mir nicht viel anders geht. Ich habe jahrelang versucht, meinen Teil zur Veränderung beizutragen, habe mich in Umweltfragen engagiert usw. und habe schließlich aufgegeben. Was nützt es schon, wenn ich mühsam den Strand von Plastikteilen reinige, wenn das Meer stirbt, weil es die Giftlasten nicht mehr verkraften kann, die Großunternehmer bedenkenlos darin ablagern. Von der Politik habe ich mich schaudernd wieder abgewandt, nachdem ich einen Einblick in das kleinkarierte Geklüngel gewonnen habe. Ich weiß nicht weiter und befinde mich in einer mehr oder weniger permanenten Depression. Es bewegt sich nichts mehr, meine Energie geht immer weiter zurück. Ich besorge zwar mein tägliches Leben, aber mein Enthusiasmus ist dahin und so etwas wie Lebensfreude kommt kaum noch auf, bestenfalls nach einigen Whiskys, aber dann ist die Depression am nächsten Tag um so größer. Was ich hier gehört habe, gibt mir neue Zuversicht und auch eine neue Art von Selbstvertrauen, wie ich es verloren glaubte. Zwar bin ich mir noch nicht im klaren darüber, was ich konkret tun kann, aber im Moment fühle ich mich erheblich wohler und weiß, daß es weitergeht." BeiYin: "Wenn die Menschen ihren Verstand benutzen und hinschauen, können sie erkennen, daß allem Geschehen Gesetzmäßigkeiten innewohnen. Sie können erkennen, daß in allem Leben und somit auch in jedem menschlichen Wesen, eine zielstrebige Kraft wirkt, diese kann als Wachstumskraft verstanden werden. Auch wenn vorerst nicht erkennbar ist, wohin diese Kraft im Endeffekt führt, ist soviel klar, daß sie in jedem Individuum vorhanden und tätig ist. Selbst dann, wenn der Mensch nichts davon weiß und in eine determinierte Richtung strebt, die bestimmt wird durch ichbezogene Wünsche und Vorstellungen. Wenn die Menschen sich lange genug von einer imaginären Zielsetzung zur anderen gekämpft haben, um schließlich irgendwann aufzugeben, mag der Moment kommen, wo sie innehalten und über den Sinn ihres Tuns reflektieren. Nehmen wir an, jetzt ist dieser Moment gekommen. Jetzt ist es möglich zu erkennen, daß eine Kraft in allem, also auch in Dir, wirkt. Eine Kraft, der Du vertrauen kannst, denn es ist Deine eigene, Deine ureigenste Kraft. Was noch fehlt, ist die bewußte Verbindung. Eine Rückkopplung, die es ermöglicht, Deinen eigenen Willen dieser Dir innewohnenden Kraft anzugleichen." |