Kommentar: "...Wenn das so ist, dann wäre der übliche, ganz normale Geschlechtsverkehr zwischen Menschen ein spirituelles Geschehen, welches einen Weg zur Erleuchtung darstellt?" 

    BeiYin: "Du sagst es. Es kommt allein auf die Einstellung der Beteiligten an. Es kann für jeden Lebensvorgang und jede Tätigkeit zutreffen. So wie für den wahren Künstler alles was entsteht, alles was er hervorbringt, Kunst ist, - weil es sein Selbstausdruck ist. Aber diese Aussage kann nur von einem Künstler verstanden werden, - der dieses mit seiner ganzen Existenz lebt. Wobei noch zu sagen wäre, daß das Kunstwerk nicht das Ziel ist, genau so wenig, wie 'Erleuchtung' ein Ziel sein kann. Der kreative Prozeß ist ein Wechselspiel zwischen der individuellen Ausdruckskraft des Künstlers und der Schöpferkraft, welche das Ganze darstellt und welche sich durch den Künstler als Medium offenbart und ebenso durch das so geschaffene Kunstwerk. So, wie das SEIN sich in jedem Lebensvorgang und jedem Erscheinungsbild in dessen individueller Form und Aussage darbringt." 

    Frage: "Dann wäre Kunst ebenfalls ein spiritueller Weg mit dem Endziel der Realisierung des Individuums, das heißt Entfaltung der latenten Anlagen und Überschreitung seiner Grenzen?" 

    BeiYin: "So ist es. Das 'Können' in der Kunst macht noch nicht den/die Künstler/in aus. 'Können' ist an die Persönlichkeit gebunden und auf diese beschränkt. Erst wenn die Grenze des Könnens überschritten wird und damit die Eingeengtheit des Individuums, fängt Kunst an. Die Leute sagen: 'Ein inspirierter Künstler...' Jeder wahre Künstler ist inspiriert, denn nur über die Inspiration hat er/sie Verbindung mit der kreativen Kraft aus der er/sie sein Werk schöpft. Diese Verbindung ist nur möglich, wenn die Persönlichkeit zumindest durchlässig geworden ist. Es bleibt dabei nicht aus, daß der Künstler in seinem Schaffensprozeß sein Werk zur persönlichen Bestätigung benutzt, was seinen künstlerischen Wachstumsprozeß erheblich stören kann, vor allen Dingen dann, wenn er mit seiner Kunst 'erfolgreich' ist. 
    Es sei denn, daß sein Schöpferdrang so dominierend ist, daß dieser, ohne Rücksicht und Abhängigkeit von äußeren Bedingungen, über die Persönlichkeit hinweg, zur Manifestation drängt. So ist Leiden eine gute Wegstrecke lang der Begleiter jedes Künstlers, so lange, bis die Persönlichkeit 'geläutert' ist und zu einem entsprechend klaren Selbstausdruck gelangt. Was ich jetzt über Kunst und Künstler gesagt habe, gilt genau so für jeden anderen Menschen, auch wenn dieser kein 'bildender Künstler' ist, sondern ein 'Lebenskünstler'. Denn dieser sucht seinen wahren Selbstausdruck, das heißt, die Verwirklichung seiner selbst. Dieses vollzieht sich im normalen Alltagsleben unter gewöhnlichen Gegebenheiten und mit den damit verbundenen Tätigkeiten."

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