Frage: "Seit vielen Jahren habe ich die Vorstellung von einem 'ganzheitlichen Leben'. Es gelingt mir in manchen Lebensbereichen, diese Idee zu verwirklichen. Allerdings muß ich mich dabei von anderen Menschen weitgehend abgrenzen und lebe deshalb recht zurückgezogen. Trotzdem ich allein lebe, weiß ich mich in dem Wunsch nach einem 'ganzheitlichen Leben' mit vielen Gleichgesinnten verbunden und bin davon überzeugt, daß es möglich ist, diese idealistische Vorstellung zu verwirklichen. Allerdings muß ich eingestehen, daß ich manchmal recht verzweifelt bin, weil ich nicht vorankomme. Wie kann ich 'Ganzheit' leben, wenn ich deprimiert bin? Ich empfinde mich wie in einer ausweglosen Konfliktsituation. Was mache ich falsch in meinem Leben?" 

    BeiYin: "Wird ein Traum deshalb Wirklichkeit, weil ihn viele träumen? Träumt nicht die ganze Menschheit seit vielen Generationen von Reichtum, Glück, Zufriedenheit, Wohlbefinden und Freiheit? Ist aus all diesen Träumen jemals Wirklichkeit geworden? Auch die beste Idee bleibt ein Traum, wenn sie nicht realisiert wird. Es dürfte klar sein, daß selbst wenn viele Menschen träumen, die Idee erst dann verwirklicht wird, wenn zumindest einer anfängt, sie auf den 'Boden der Tatsachen' herab zu bringen. Um Deinen Traum zu leben, um ihn zu realisieren, bleibt Dir nichts anderes übrig, als aus den Traumwolken herabzusteigen. Damit kommst Du in eine Konfliktsituation. Ist es nicht so, daß Du nur deshalb träumst, weil das Leben im Alltag: In dieser Gesellschaft, in diesem sozialen System, in dieser Anhäufung von kleinkarierten persönlichen Miseren, ganz und gar nicht 'ganzheitlich' ist? Dafür aber lebensbedrohend und einengend und Dich abwürgend. Ist nicht der Traum das einzige Mittel für Dich, um zu überleben, um Dich der Alltagsrealität so gut wie irgend möglich zu entziehen? Im täglichen Leben, in seinen gnadenlosen Anforderungen, kannst Du nicht das bekommen, was Du so dringend brauchst, nämlich Wohlbefinden und Zufriedenheit. Die lieblose Härte des täglichen Fron treibt Dich in eine Traumwelt und erst da kannst Du Dich einigermaßen glücklich fühlen und wenn Du Deine Träume mit Gleichgesinnten teilen kannst, so gibt Dir dies und die gemeinsame Ausrichtung auf ein erstrebenswertes Ziel, zumindest eine gewisse Sicherheit und damit Zufriedenheit. 
    Andererseits erkennst Du, daß Du Dich dadurch von einem 'ganzheitlichen Leben' entfernst, anstatt es zu verwirklichen, denn die Abgespaltenheit Deines Traums von der Realität Deines Alltagslebens wird immer offensichtlicher und damit gleichzeitig unerträglicher. Dein Konflikt wird zusehends stärker: Einerseits siehst Du die Notwendigkeit, aus Deinem Traum herabzusteigen, um diesen im täglichen Leben zu verwirklichen, andererseits hat Dir ja gerade Dein Traum dazu verholfen, Dich dem Alltag mehr oder weniger zu entziehen. Es widerstrebt Dir herabzusteigen, denn dazu müßtest Du Deinen Traum loslassen, dieser gibt Dir jedoch den einzigen Halt, da das Leben Dich immer wieder zutiefst enttäuscht hat... ?!" 

    Frage: "Ich verspüre einen inneren Zwang, meinen Traum zu verwirklichen. Es ist wie eine 'Berufung', ich vermeine damit eine Aufgabe zu haben und auch eine Verpflichtung. Ich muß mit viel Geduld und schrittweise vorgehen, damit sich Traum und Realität einander nähern. Ich kann nicht einfach aufgeben, was bleibt mir dann noch außer dem banalen Alltagsleben?" 

    Bei-Yin: "Wenn Du Dein Leben betrachtest und siehst, was bisher aus Deinen Träumen geworden ist, und wenn Du Dir die großen Träume der Menschheit betrachtest und siehst, wohin diese geführt haben und was aus den großen Träumern geworden ist und mit ihnen aus den vielen Mitträumern, dann bleibt nur die Schlußfolgerung: So geht es nicht, dies ist nicht der geeignete Weg! Niemand kann daran interessiert sein, sich eines Tages, enttäuscht und verbittert von der Welt, in die Einsamkeit zurückzuziehen oder sich in sich selbst zu verkriechen.
    Ebensowenig wirst Du für die Verwirklichung eines neuen Traumes kämpfen wollen, der Dir schmackhaft gemacht wird, weil damit die Verheißung verknüpft ist, daß das eine oder andere Deiner Bedürfnisse gestillt wird. Nein, darauf wirst Du Dich nicht mehr einlassen, denn es ist lediglich eine Frage der Zeit, wann Du daran zerbrichst, - so wie alle Träume irgendwann zerbrechen. Sei es nach 100 Jahren, wie beim Kommunismus oder nach wenigen Jahren in einer Ehe... oder wie bei Deinen persönlichen Träumen, die im Laufe des Lebens zerbrechen... 
    Du kannst es in Deiner Umgebung sehen: Wann immer ein Traum an der Realität scheitert, leidet der Träumer zutiefst darunter oder er rettet sich in einen anderen Traum. So wird aus dem gescheiterten Kommunisten ein zweihundertprozentiger Kapitalist, aus dem gescheiterten Materialisten ein 'Esoteriker' und aus dem gescheiterten Esoteriker ... usw. Wenn Du Dir diese Welt und die Menschen betrachtest, könntest Du Dich vielleicht fragen: Ja, träumen denn alle Menschen? Wo auch immer Du hinsiehst, alle scheinen ohne Ausnahme zu träumen. Die meisten davon, Glück und Erfüllung durch Konsum oder Besitz zu finden, andere wollen dies durch Erfolg und den damit verbundenen Reichtum erlangen. Andere träumen vom Glück in einer Partnerschaft. Andere suchen Zufriedenheit in größtmöglicher Absicherung, sei es auf materielle oder spirituelle Weise. Andere suchen ihre Sinnerfüllung im Kampf um die Realisation einer idealistischen oder religiösen Idee usw. Wer auf materieller Ebene oder auf der Gefühlsebene resigniert hat, sucht Erfüllung im Traum einer spirituellen Idee und so geht es durch alle Ebenen. 
    Viele greifen zu der wahrhaft absurden Möglichkeit, sich der Realität durch Drogen zu entziehen. Wie stark muß bei diesen Menschen die enttäuschte Sehnsucht und die Resignation sein, wenn sie sich in einen derart verzweifelten Traum flüchten, der so offensichtlich in der Selbstzerstörung endet? Enttäuscht werden die Träumer letztlich alle! Kein wie auch immer gearteter Traum kann auf Dauer wirkliche Erfüllung bringen. Liegt es nicht auf der Hand, daß Träume genau das Gegenteil bewirken? Denn wer für die Erfüllung eines Traumes kämpft, ist in diesem Traum befangen und kann nicht zur Realität des Lebens gelangen und somit auch nicht zur Erfüllung. Erst wer gründlich enttäuscht ist und aus seinem Traum erwacht, hat die Chance, der Wirklichkeit des Lebens zu begegnen und zur Selbstverwirklichung zu gelangen. Darum geht es doch letztlich.
    Der Träumer eines idealistischen Traums hat es besonders schwer zu erwachen, denn er vertritt seinen Traum mit viel Enthusiasmus, wenn nicht gar mit Fanatismus. Jeder Träumer findet immer wieder gerechtfertigte Gründe, um auch auf Kosten anderer und der Umwelt, damit fortzufahren. Alle Energien gehen in die Richtung der Erfüllung der Träume. Was nicht in diese Richtung paßt, wird übersehen und überhört und wenn es sich zu sehr in den Weg drängt, wird es bekämpft, wenn es sein muß mit allen Mitteln. 'Der Zweck heiligt die Mittel!' Da heraus wird verständlich, wie es möglich war, daß zum Beispiel ganze Völker im Namen der Liebe und des Friedens ausgerottet wurden und Menschen unter dem gleichen oder einem anderen, neu postulierten ideologischen Banner, im Namen der Freiheit manipuliert und versklavt wurden und immer noch werden. Das ist die Realität der Menschen, - als Resultat ihrer Träume! 
    Im Kampf um die Realisierung ihrer Träume finden die Menschen momentane Erfüllung. Auch wenn dieser Kampf nicht unbedingt glücklich macht, so finden die Menschen sich doch, im Kampfgetümmel von Erfolg und Mißerfolg, in ihrer Existenz bestätigt. Dies mag Jahrzehnte so weitergehen, - bis ein Traum nach dem anderen zerbricht. Die Menschen leiden darunter und fühlen sich als Opfer von widrigen, undurchschaubaren Umständen, nennen es Schicksal oder Karma, was auch nicht weiterhilft. 
    Wieviel Leid gibt es auf dieser Welt! Ist es nicht an der Zeit, daß sich die Menschen fragen, ob nicht das Festhalten an ihren Träumen die Hauptursache dafür ist? Da das Leid offensichtlich durch den Kampf gegen die Realität des täglichen Lebens hervorgerufen wird, wäre zu überlegen: Warum sich nicht besser auf die Seite der Realität stellen, anstatt fortwährend dagegen anzugehen? Warum versuchen die Menschen nicht, das was ist zu akzeptieren? Allerdings müßten sie dazu als erstes die Realität wahrnehmen. 
    Aber wie und was ist die Realität? Die Realität ist, was jeder für sich selbst, wenn auch limitiert und determiniert, in diesem Moment wahrnimmt. Nicht mehr und nicht weniger. Niemand kann etwas anderes wahrnehmen, als das, was der/diejenige in seinem/ihrem Fühlen und Denken reflektiert. Was heißt: Um es wirklich bewußt wahrzunehmen, ist Bezugnahme nötig. Die Träume der Menschen spielen sich ausschließlich in deren Köpfen und Herzen ab. Also: Da ist der Körper mit seinen Sinnen, da sind die Gedanken und da sind die Gefühle. Dieses zusammen stellt das Ganze dar, was die individuelle Realität normalerweise ausmacht. Damit bist Du identifiziert, davon bist Du abhängig. Das ist Dein 'ICH', - bestehend aus subjektiven, mehr oder weniger eingeengten Empfindungen. Die Träume, die aus visionären Vorstellungen bestehen, sind der Filter, der die individuelle Wahrnehmung und Möglichkeit der Bezugnahme bestimmt. Deshalb teilen die Menschen alles streng ein in das, was ihren Träumen entspricht, was den- oder diejenige bestätigt und in alles andere, was dem nicht entspricht und was, wie bereits gesagt, nur dann zur Kenntnis genommen wird, wenn es sich zu sehr aufdrängt.
    Die Menschen können darüber hinaus noch anderes erahnen, zum Beispiel durch Intuition. Aber es ist bekannt, wie sensibel damit umzugehen ist und daß sich dieses nicht handhaben läßt, wie es die Menschen bei anderen Bereichen gewohnt sind, die mehr oder weniger fest in den Griff zu bekommen sind. Denn wann immer die Menschen die Möglichkeit dazu haben, manipulieren sie. Das gilt nicht zuletzt für ihre Träume, mittels derer sie andere manipulieren oder in denen sie selbst befangen sind. 
    Gewiß existiert außerdem noch eine andere erfahrbare Realitätsebene, die über die persönliche Gefühls- und Gedankenwelt, die gesellschaftliche und die Umweltrealität hinaus geht. Im Grunde genommen versuchen alle Menschen, sich dieser erahnten Realität durch ihre Träume zu nähern. Es ist bekannt, daß es verschiedentlich Menschen gegeben hat, die diese Realität gelebt haben und es gibt solche Menschen auch jetzt in diesen Tagen und mitten unter allen andern Menschen lebend. Daß diese nicht erkannt werden, liegt daran, daß die Menschen so sehr in ihren Träumen befangen sind. Solche 'realisierten Menschen' äußern sich selten über diese 'Realität', denn jede von ihnen gemachte Aussage dient den Träumern einzig und allein dazu, ihre Träume zu nähren, nicht aber dazu, sie eventuell loszulassen... 
    Was man mit demjenigen gemacht hat, der sich vor 2.000 Jahren über diese andere 'Realität' geäußert hat, ist hinreichend bekannt und wohin der aus diesen Aussagen entstandene schöne Traum von 'Frieden, Harmonie und Liebe' geführt hat, wird immer deutlicher. Das Zerbrechen der Träume läßt sich nicht weiter hinausschieben. Das Ende der Menschheit in der Selbstvernichtung ist absehbar, auch wenn diese Tatsache noch immer durch diffuse Traumwolken weitgehend verdrängt wird... 
    Es sei denn, es wird aus der Erkenntnis dessen eine Entscheidung getroffen und das täglich Gegebene akzeptiert. Damit hört der Kampf gegen die 'Windmühlenflügel' auf und damit auch die fortwährende Einteilung in negativ und positiv. Die Menschen können aus ihren Traumwolken herabsteigen und sich dem 'Handfesten' zuwenden, das heißt, sie werden in erster Linie darum besorgt sein, Bezug zu dem zu nehmen, was in ihrem täglichen Leben auf sie zukommt. Sie werden versuchen, dem gerecht zu werden. Sie übernehmen Verantwortung, für sich selbst und für andere, also für ihr unmittelbares Gegenüber: Sei dies nun ein Mensch, ein Tier, eine Pflanze oder ganz allgemein die Umwelt. Mit dieser neuen Lebenseinstellung können die Menschen das erste Mal freie Entscheidungen treffen, da sie nicht mehr von imaginären Zielen angezogen werden, denen sie zwanghaft (unbewußt) zu entsprechen suchen. Sie haben jetzt die persönliche Freiheit, sich zu entscheiden, allerdings ebenso die Verantwortung dazu. Das ist erst beängstigend und gleichfalls die neue Offenheit, die sich einstellt. Bisher war 'Offenheit' eine Pose, die angenommen wurde, weil dies zum 'Fortschrittlichsein' oder zum spirituellen Konzept gehörte. Jedoch sind die Menschen niemals wirklich offen gewesen, da sie stets nur das wahrgenommen und zugelassen haben, was zu ihrem Eigenbild paßte. Jetzt, wo sie wirklich frei sind, oder vorerst zumindest in der Lage sind, sich als Sklaven ihrer Träume zu erkennen, ist ihre Offenheit echt. 
    Die Menschen können es daran sehen, daß sie vorübergehend verletzlicher sind. Die starre Pseudo-Sicherheit lockert sich. Damit werden sie zwar unsicherer und möglicherweise fühlen sie sich verwirrt, aber gleichzeitig wächst ein sensibles neues Vertrauen... 
    Und jene Sehnsucht beginnt Erfüllung zu finden, die in allen Träumen enthalten war: Eine Neue Realität wird sichtbar, - weil sie jetzt gelebt wird. Es ist einfach geworden: Die Realisation liegt nicht in einem fernen Ziel, nicht im Kampf um die Verwirklichung eines Traums, einer Idee, eines Ideals. Sie liegt im täglichen Leben: In der Bezugnahme zu dem, was jetzt, in diesem Moment, von 'innen' oder von 'außen', an jeden einzelnen Menschen heran tritt. In dieser Bezugnahme erlebt sich das Individuum. Der Mensch verwandelt sich und darüber hinaus seine Umwelt, denn jetzt ist er nicht mehr von ihr getrennt: Der Mensch lebt Ganzheitlichkeit! 'Das Leben ist ein Traum', - für den der schläft. Wer lange genug geschlafen hat, kann endlich aufwachen. Gewiß, es kann zuerst ein Schock sein, aber dann wird sichtbar, daß nichts verloren gegangen ist, - außer den Träumen. Gewinnen würden die Menschen Wachheit und damit würde LICHT sichtbar. Eine positive Spirale könnte beginnen, in welcher Freude anstelle Leid steht."

zum nächsten Kapitel   |   Inhaltsangabe