Frage: "Warum fällt es so schwer, das Gewohnte loszulassen, selbst wenn ich erkenne, daß dies gefährlich ist und ich mir selbst und anderen Schaden damit zufüge? Und warum falle ich in ein emotionelles Loch, wenn mir durch einen Schicksalsschlag etwas entrissen wird?"
 
    BeiYin: "Die Menschheit hat sich ein Verkehrssystem von Straßen und Eisenbahnen geschaffen, auf diesen bewegt sie sich auf festgelegte Ziele zu. Normalerweise wird niemand auf die Idee kommen, einen anderen Weg einzuschlagen, als den durch die bestehenden Bahnen vorgeschriebenen, denn die Ziele liegen für alle Reisenden fest. Wer springt schon von einem fahrenden Zug ab? Oder verläßt das bequeme Auto, um sich durch die Büsche zu schlagen? So geht es mit allem Gewohnten. Wenn neben der Bequemlichkeit noch der Suchtfaktor dazu kommt, wird es fast unüberwindlich schwierig davon los zu kommen. Sucht und damit Abhängigkeit, treten immer dann ein, wenn etwas Konzentriertes und damit Stimulierendes zur Gewohnheit geworden ist. Das kann auf allen Sinnes- und Erfahrungsebenen der Fall sein. 
   Zum Beispiel: Das Fernsehen wird zur Sucht, weil in einem einzigen Film mehr an Aktion, Gefühlen und Gedankenspielen geboten wird, als der Zuschauer in einem langen Zeitraum in eigener Person durchleben kann. Die Filme werden immer konzentrierter, oder besser gesagt vollgepackter mit Aktionen und Gefühlsausbrüchen, denn das ist es, was die Süchtigen sehen wollen, die selbst zu passiven Gefühlskrüppeln geworden sind. Somit steigen die Einschaltquoten. 
    Das Alltagsleben wird immer schaler, langweiliger, nichtssagender und auch problematischer. Was liegt also näher, als sich in die Schein- und Traumwelt einer Flimmerscheibe zu flüchten? Durch all das geht nicht nur die eigene Initiative und Energie zurück, sondern auch die Widerstandskraft. Die Menschen werden zu mehr oder weniger funktionierenden Robotern, manipuliert und manipulierend, sich wie Zombis weiterbewegend. Selbst von katastrophalen Ereignissen in ihrer Umgebung werden sie kaum berührt. Es sei denn, es betrifft sie unmittelbar, etwa der Tod des Allernächsten oder der Zusammenbruch eines Lebenswerkes.
     Das ist deshalb so schwerwiegend, weil die Person mit dem Verlorenen identifiziert ist, ohne es jedoch zu SEIN. Es gab dem Leben Sinn, darin erfüllte es sich. Es reflektierte und bestätigte die Gedanken und Gefühle, da die Person selbst nicht darüber reflektierte. Fällt das äußere Erscheinungsbild plötzlich weg, entsteht ein 'Nichts'. Die Person empfindet sich selbst nicht mehr, da sie fast ausschließlich durch ihren Besitz existierte. Besitz ist all das, was sich jemand im Laufe seines Lebens zu eigen gemacht hat: Sachen, Ideologien, Personen, Tätigkeiten, Beruf, Aufgaben usw. und ebenso all das, was als Allgemeinbesitz gleichermaßen von allen besessen wird: Tradition, Kultur, Lebensanschauung, Ziele usw. - - All das, womit die Menschen identifiziert sind und was zur unangezweifelten Selbstverständlichkeit geworden ist: Die 'Persönlichkeit' mit ihrer traditionellen, zur Gewohnheit gewordenen materialistischen Lebenseinstellung."

    Frage: "Sicherlich bin ich materialistisch eingestellt. Letztlich bleibt mir gar nichts anderes übrig, denn wie sollte ich sonst in dieser so überaus materialistischen Gesellschaft überleben? Schließlich muß ich meine Miete bezahlen, meine Familie muß etwas zu essen haben, die verschiedenen Versicherungen müssen bezahlt werden usw. und vergnügen will ich mich schließlich auch. Ich muß also Geld verdienen, und ich muß bemüht sein, möglichst viel zu verdienen, sonst reicht es vorne und hinten nicht aus. Es erscheint mir unmöglich, mich dem zu entziehen, denn dann müßte ich mich meiner Verantwortung als Familienvater entledigen und das kann ja wohl nicht richtig sein? Mit meiner Situation bin ich durchaus nicht zufrieden, denn ich fühle mich unter ständigem Druck stehend. Welche Möglichkeit habe ich, aus diesem Kreislauf von Verpflichtungen und dem Zwang, der sich aus meiner Situation ergibt, heraus zu kommen, ohne daß meine Familie darunter leiden muß?"

    BeiYin: "Ihre materialistische Lebenshaltung würde sich nicht dadurch ändern, daß sich Ihre äußeren Lebensbedingungen ändern. Selbst wenn Sie das große Los gewinnen würden und ab sofort aller Notwendigkeit enthoben wären, Geld verdienen zu müssen, würde sich an Ihrer materialistischen Lebenseinstellung nichts ändern. Der jetzige Zwang und Druck wäre nicht mehr vorhanden, aber dafür kämen andere Zwänge und Probleme auf Sie zu, von denen Sie jetzt nichts ahnen können. Ihre Einstellung zum Leben ist nicht von äußeren Bedingungen abhängig und ebensowenig davon, ob Sie viel Geld oder gar keines haben. Wovon hängt Ihre Einstellung zum Leben ab?"

    Frager: "Wenn ich materielle Sicherheit hätte, würde es mir leichter fallen, meine Haltung zu ändern, da ich dann nicht mehr im gleichen Maße abhängig wäre..."

    BeiYin: "Das ist eine der Illusionen der materialistischen Einstellung, deren einziges Ziel es ist, immer mehr anzuhäufen, um damit angeblich unabhängiger zu werden. Schauen Sie sich die Reichsten der Reichen an. Nur in den seltensten Ausnahmen ändert einer von ihnen zu Lebzeiten seine materialistische Lebenshaltung. Die äußeren Bedingungen sind jedenfalls dabei nicht ausschlaggebend. Ihre persönliche Haltung ist nur von Ihnen selbst abhängig. Daran können Sie unmittelbaren Einfluß nehmen, im Gegensatz zu den meisten der äußeren Lebensbedingungen. Ihre Entscheidungsfreiheit ist ebenso eingeschränkt wie Ihre begrenzte Sehweise. Sie meinen, keine Entscheidungsfreiheit zu haben, weil Sie ihr ganzes Leben in einer Hammelherde mitlaufen und gar nicht auf die Idee kommen, daß es auch anders gehen könnte. Um aus Ihrer Zwangslage herauszukommen, wäre der erste Schritt, im allgemeinen Herdenlauf innezuhalten und Ihre innere Position wahrzunehmen."

    Frage: "Und wie soll es dann weitergehen?"

    BeiYin: "Erst einmal seien Sie sich Ihrer Position bewußt: Ihrer Abhängigkeit von Konditionierungen, von Meinungen, von Gewohnheiten, von Besitz, von Ihrer Identifikation damit usw. Wenn Sie dieses Spiel mit sich selbst und wie es die Gesellschaft mit Ihnen spielt, durchschauen, dann ist es an der Zeit für die nächste Frage. Bis dahin ist einiges in Ihnen zu durchleuchten, es wird nicht leicht sein, denn es ist mit echter Arbeit verbunden."

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