Frage:
"Ich habe zwar auch einige Male in depressiven Phasen daran gedacht, Selbstmord
zu verüben, aber wie kann ich es verstehen, daß die ganze Menschheit
dabei sei, 'kollektiven Selbstmord' zu begehen?"
BeiYin: "Die Menschheit
ist ein geschlossenes System, ebenso wie ein Volk, eine Familie oder sonst
eine Gruppierung. Jedes System hat, wie alle Lebens-Organismen, die Tendenz
der Selbstbewahrung, andererseits den Drang nach Ausdehnung und Wachstum.
Das dient ebenso der Arterhaltung wie der Vermehrung. Im Schutze des Systems
können die Mitglieder aufwachsen und sich entwickeln. Die Gesellschaft
stellt den Individuen für deren Wachstum einen traditionellen, relativ
bewährten Rahmen zur Verfügung. Irgendwann jedoch kommt der Moment,
wo das eine oder andere Mitglied dem 'Schoß der Familie' entwächst.
Damit kommt es zu Konflikten und Konfrontationen, denn das System ist starr
und gibt, aufgrund der Selbstbewahrungstendenz, dem Individuum nicht genügend
Spielraum."
Frage: "Liegt da der
Grund für den in verschiedenen Staaten aktiv werdende Widerstand der
Bürger gegen das 'Establishment', der im Extremfall bis zum Terrorismus
reicht?"
BeiYin: "So ist es.
Eine Einzelperson oder ein Zusammenschluß von Gleichgesinnten wird
von der Gesellschaft geächtet, ausgestoßen oder isoliert, wenn
diese sich nicht anpassen. Widerstand gegen das System wird nötigenfalls
mit 'gesetzlichen Mitteln' bekämpft. So spielt es sich in allen Systemen
ab, also sowohl beim System eines Staates, einer Gruppierung, einer Partei,
eines Interessenverbandes usw., als auch bei einer Einzelperson. Die Spannungen
werden traditionsgemäß außen ausgetragen, d.h. es wird
ein Schuldiger gesucht und auf diesen die eigene Negativität projiziert.
Der Gegner benutzt seinerseits die ihm entgegengebrachte Provokation, um
seine eigenen Spannungen loszuwerden. So kommt es zu den täglichen
Konfrontationen bis hin zum Krieg zwischen Völkern. Ist ein Abreagieren
der Spannungen nicht möglich, weil das System ein Abreagieren nicht
zuläßt, so geht die Spannung auf eine andere Ebene und wirkt
dort selbstzerstörerisch, d.h. die Aggression wendet sich gegen das
eigene System. Beim Individuum führen durch starre Verhaltensregeln
verdrängte Reaktionen zu Spannungen, die sich nicht nur auf der psychischen
Ebene, sondern auch auf der Körperebene akkumulieren und früher
oder später zu Krankheiten führen. Auf der Gefühlsebene
akkumulierte Spannungen führen zu exzessiven Handlungen oder zum Konsum
von Alkohol, Tabak oder Drogen und vergiften und zerstören damit das
System. Auf der Globalebene erfolgt die Selbstvernichtung der Menschen
nicht mehr durch Weltkriege, auch wenn in regionalen Kriegen sich immer
noch Hunderttausende gegenseitig umbringen.
Die kollektive Selbstvernichtung
der Menschheit hat jetzt eine andere Ebene erreicht, die Körperebene
des Planeten, bei welchem Erde, Wasser und Luft mit den vielfältigsten
Giften verseucht werden, so daß der Zusammenbruch des Gesamtlebenssystems
auf diesem Planeten die unausweichliche Folge ist. Ich wiederhole: Dieses
ist das Endergebnis einer Kette von unbewußten Verhaltensweisen,
weil ein Abreagieren oder Transformieren der Spannungen, aufgrund der Verdrängungstendenz
jeglicher Systeme, nicht zugelassen wird. Deshalb gehen auftretende Spannungen
folgerichtig auf eine andere Ebene und wirken dort selbstzerstörerisch,
d.h. die Aggression wendet sich gegen das eigene System.
Das Individuum durchläuft
in seinem Selbstfindungsprozeß verschiedene Phasen. Wenn es dem Schutz
der Gesellschaft oder einer Gruppierung entwachsen ist, steht es völlig
allein da und hat das Gefühl, die ganze Welt gegen sich zu haben.
Das ist mit Leiden verbunden. Es dürfte klar sein, daß dieses
ein Geburtsvorgang ist, und auch wenn es schmerzt, nicht etwas Negatives
ist.
Die Gesellschaft kann einen
Entwicklungsprozeß nur über die Individuen vollziehen, die Masse
bestimmt die zulässigen Grenzen. Da bis jetzt nur vereinzelte Menschen
diese Grenzen überschreiten, verharrt die Masse indifferent im Gewohnten,
mit allen Anhäufungen von Verdrängungen und Spannungen. Der Massenselbstmord
der Menschheit ist nur aufzuhalten, wenn die Menschen beginnen, ihre Lebenseinstellung
zu hinterfragen und ernsthaft versuchen, die Hintergründe ihrer Handlungen
aufzudecken. Selbst mit dem Risiko, daß sie dabei ihr überhöhtes
Selbstgefühl einbüßen.
Es geht nicht darum, die im
täglichen Leben auftretenden Spannungen zu kontrollieren, sondern
darum, sie bewußt wahrzunehmen, und ebenso die Gründe, warum
diese Spannungen auftreten, also ein Vorgang der Selbsterkenntnis. Jedoch
nicht so wie üblich, daß die Gründe fast ausschließlich
in äußerlichen Anlässen gesucht werden, ein Schuldiger
gefunden wird und damit die eigene Reaktion gerechtfertigt ist. Die Gründe
in der eigenen Persönlichkeitsstruktur aufzudecken, ist ein Prozeß
und mit Arbeit verbunden. Wir werden uns noch eingehend damit auseinander
setzen."
zum nächsten
Kapitel | Inhaltsangabe |