"Auch
wenn mir jetzt gar nicht wohl ist in meiner Haut, nachdem ich einige Beiträge
von BeiYin gelesen habe, so muß ich doch eingestehen, daß das
wahr ist. Wenn ich mich selbst betrachte: Es geht mir nicht schlecht, ich
habe eine gut bezahlte Arbeit, meine Ehe ist soweit in Ordnung, meine Kinder
nehmen keine Drogen und über meinen Gesundheitszustand kann ich mich
nicht beklagen. Aber wenn ich mich in der Nachbarschaft und im Freundeskreis
umsehe, kann ich nur sagen, daß ich mich in einem Ausnahmezustand
befinde, denn wo ich auch hinsehe, von einer 'heilen Welt' ist sehr wenig
vorhanden. Selbst da, wo alles in bester Ordnung zu sein scheint, ist dies
bei näherem Hinsehen nur eine Fassade. - -
Wenn ich aus diesem kritischen
Blickwinkel meine eigene Situation betrachte, muß ich eingestehen,
daß ich mir ebenfalls etwas vormache: Mein Beruf bringt zwar gutes
Geld, aber gibt mir darüber hinaus keine rechte Befriedigung. Meine
Ehe hält möglicherweise nur deshalb zusammen, weil durch die
Kinder und die äußeren Umstände die Interessen so verquickt
sind, daß eine Trennung eine Katastrophe zur Folge hätte. Meine
Kinder sind zwar nicht rauschgiftsüchtig, aber in hohem Maße
zuckersüchtig, was auf Dauer deren Gesundheit ruiniert. Sie haben
bereits jetzt, mit l2 und 14 Jahren, völlig zerstörte Zähne.
Über meine eigene Gesundheit
kann ich mich zwar nicht beklagen, verdanke dies aber vor allen Dingen
meinem Arzt und den verschiedenen Medikamenten. Meine Situation kann ich
als 'normal' bezeichnen, aber ich muß mir eingestehen, daß
ich keineswegs zufrieden, harmonisch oder gar glücklich bin. Die politische
Weltlage beunruhigt mich und ich fühle mich ohnmächtig Kräften
ausgeliefert, die ich nicht beeinflussen kann. Ich bin ein friedliebender,
gutmütiger Mensch, aber wenn ich mir das Leben so betrachte, packt
mich ein unbändiger Zorn und ich weiß nicht, wo ich damit bleiben
soll. An meiner Familie kann und will ich meinen Ärger nicht auslassen
und ebensowenig an meinen Arbeitskollegen. Auch gehöre ich nicht zu
den Menschen, die nachts losgehen und etwas kaputtschlagen oder mit irgend
jemandem eine Schlägerei anfangen. Am ehesten kann ich mich noch am
Fernseher entspannen.
Jetzt wird mir auch klar,
warum es zu einer derartigen Anhäufung schlimmster Gewalttätigkeiten
in der Mehrzahl der TV-Programme kommt. Ebenso erkenne ich, warum mir ein
Krieg in einem fernen Land irgendwie willkommen ist, auch wenn ich andererseits
für den Frieden bin. Aber die Berichte im Fernsehen über Kriege
langweilen mich bereits wieder, da sie nicht genug 'action' bringen, so
wie ich es bei den fiktiven Filmen über Krieg und Kriminalität
geboten bekomme. Über das reichliche Angebot an Gewalttätigkeiten
wundere ich mich nicht, wenn ich davon ausgehe, daß andere Menschen,
ebenso wie ich, ihre Entspannung dabei finden. Daß die Programme
für Kinder und selbst für Kleinkinder ebenfalls voll von Gewalttätigkeit
sind, erstaunt mich allerdings. Das läßt darauf schließen,
daß es auch für die Kinder keine 'heile Welt' gibt. Nun ja,
die Kinder nehmen den Frust und Streß der Eltern und ihrer Umgebung
auf und reagieren sich genau so passiv ab wie die Erwachsenen.
Daß ich so gerne Gewalttätigkeiten
anschaue, erschüttert mich, da ich wie gesagt, ein friedliebender
Mensch bin. Oder bilde ich mir das nur ein, weil es zum alten Bild einer
'heilen Welt' gehört? Tatsache ist, daß ich wütend bin
und nicht weiß wohin damit. Aber wo kommt diese Wut her? Offenbar
aus meiner Enttäuschung und Ohnmacht. Ich bin enttäuscht darüber,
daß mein Leben anders ist, als ich es gerne hätte und ich fühle
mich hilflos und unfähig dies zu ändern. Ich könnte, wie
so viele andere Menschen, meine Wut im Alkohol ertränken, aber es
liegt mir nicht, mich auf solche Weise zu betäuben.
Nun gut, ich will nicht mehr
so wie bisher weiterleben, da ich den bevorstehenden Zusammenbruch allzu
deutlich sehe. Ich frage mich nur, wie es weitergehen soll. Auch wenn ich
jetzt noch keine Antwort darauf habe, so verspüre ich jedoch in diesem
Moment bereits eine gewisse Entspannung, anders als jene durch Abreagieren
oder Betäuben durch stundenlanges Fernsehen. Es ist wie das entfernte
Erscheinen eines mir noch unbekanntes 'Lichtes' nach einer ermüdenden
Wanderung durch die Nacht... Mag sein, daß Bei-Yin das ausgelöst
hat und so etwas wie 'Licht' für mich repräsentiert. Ich werde
nicht resignieren, ich werde weitergehen, - aber hin und wieder werde ich
innehalten und glaube, damit bereits den Ansatz für eine Lösung
aus meiner Konfliktsituation gefunden zu haben."
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